Wilhelm Reich war bereits als junger Analytiker daran interessiert, die Erkenntnisse über Neurosenbildung in praktische soziale Arbeit umzusetzen. Mit Kollegen gründete er in Wien sexualhygienische Beratungsstellen, in denen hunderte Jugendlicher und junger Erwachsener beraten wurden. Hier erkannte er die riesenhafte Dimension der Neurosen die vorwiegend auf autoritären, sexualverneinenden Familienverhältnissen beruhen.
Im Kleinkind werden neurotische Muster festgelegt. Beim Jugendlichen entscheidet sich nun, inwiefern er sich sexualfeindlichen Normen beugt, bzw. wie weit er sich aus dem vorgegeben Rahmen von Sexualmoral hinausbewegt. Grundpfeiler der gesellschaftlichen Sexualverneinung ist dabei die Askeseforderung für Jugendliche, die später in die Forderung nach zwangsmonogamer Ehe mündet. Beide Forderungen sollen Menschen in jeder Hinsicht gefügig machen - um den Preis seiner Lebendigkeit, der Fähigkeit lustvoll zu empfinden, glücklich zu sein.
Die Pubertät ist demnach, "der sexuelle Kampf der Jugend", in der jede Generation versucht, die Glücksfähigkeit als Konsequenz der aufblühenden Sexualreifung von der Elterngeneration einzufordern. Wenn man die Sicherung und Entwicklung lebendiger Strukturen als Ziel menschlichen Fortschritts sieht - bis hin zur Verhinderung von Krieg, Kriminalität und Hunger als Extreme neurotischen Elends - entscheidet darüber hauptsächlich die Generation der Pubertierenden.
Wilhelm Reich: »Die Funktion des Orgasmus«